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Notizen zum Jubiläumstee von Shui Tang

Als die neue Puer-Lieferung eintraf, ändert sich  gerade unsere Jahreszeit. Noch paar schöne warme Tage, und dann auf einmal Regen und Wind, die alles zum Fallen bringen. Die schönen Tees aus Yibang und Yiwu überraschen mich mit einer ausgezeichneten Ernte. Sie sind intensiver, aromatischer. Es liegt vielleicht an den Fortschritten des Produzenten, und auch am Wetter, da viele Teeanbaugebiete unter Regenmangel litten.

Der Herbst ist oft ein Synonym des Wandels. Tatsächlich spürte ich einen Wandel in mir, als mir das 15. Jubiläum des Teehauses Shui Tang immer mehr ins Bewusstsein rückte. Wohin und wie weiter? Was für Spuren sind bereits hinterlassen? Woher bekomme ich schöpferische Kraft für den weiteren Weg in den eingebundenen Alltag? Gleichzeitig geschehen und geschahen unglaubliche Kriege und leidvolle Entwicklungen in der Aussenwelt. Fallen. Alles fällt.

Das Leben ist ein Mysterium. Ein Mysterium, weil oft sich die Widersprüche und Gegensätze zwischen Ego und dem Selbst, zwischen aussen und ihnen versöhnen oder einen Ausweg gefunden wird... Schöpferisch mit all den Fragen umzugehen, ist der Pfad. Aber woher kommt die schöpferische Kraft? Wie kann man das Fallen und das Reifen als eins sehen? Wo ist der Ort, wenn Licht und die Dunkelheit sich treffen? Besteht nicht eine alte Feindschaft zwischen dem Leben und der grossen Arbeit? (Rilke, Requiem, 1908)

Der Dichter Rainer Maria Rilke hat uns viele Vorschläge gemacht. In zwei Gedichten «Herbst» hat er uns von der sich wandelnden Welt erzählt, uns gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Natur und das Universum das einzig Beständige bleiben. Die Beständigkeit ist das Unbeständige im Leben. Das zu erkennen verbindet uns wieder mit dem Unendlichen, und wir werden wieder eins mit allem.

In einem anderen Gedicht «Lied» schrieb Rilke: «Auch, in den Armen hab ich sie alle verloren, du nur, du wirst immer wieder geboren: weil ich niemals dich anhielt, halte ich dich fest» (aus «Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge»). Liebe verbindet uns mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit der Welt. Ohne festzuhalten, weil wir die Verbindung unendlich leben, und uns freuen über das selbst bestimmte Leben des Geliebten. Wenn die Liebe gleichzeitig süss schmeckt und Trennung herb adstringiert, dann schmeckt das Leben tatsächlich wie der Tee: süss, herb und facettenreich. Je tiefer wir unsere innere Verbindung zur Welt erforschen und uns auf die Liebe einlassen, desto vielschichtiger wird der innere Diamant geschliffen und scheinen. Bevor der Diamant fertig geschliffen ist, und bevor die Quelle schöpferischer Kraft integriert wird, brauchen wir alle Unterstützung, wenn der Tag dunkler wird. Die Hilfe kann der Tee, kann die Poesie , die Musik sein. Das Süsse des Tees ist wie die feste Umarmung von Rilkes Sprache: ich halte dich ganz fest, ohne dich auf deinen Weg aufzuhalten!

Und die alte Feindschaft zwischen dem zu organisierenden Alltag und dem Werk des Lebens sind die treibende Kraft zur Bewusstseinsmutation (siehe 15 Jahre Shui Tang)! Der Tee ist der Weg mit dieser Feindschaft zu versöhnen.

Meng Lin Chou, Herbst 2024